Montag, 28. November 2016

Allerletzte Leseprobe Unter Verdacht

 Unter Verdacht 
 Kapitel 6 Anfang
„Guten Morgen, Frau Kolb. Herr Angerhaus hat mir inzwischen so viel von den interessanten Themen Ihres Geschichtsvereins erzählt, dass ich gern einmal dazukommen möchte.“ Ruth gedachte, den Stier bei den Hörnern zu fassen. Bei einer Zusammenkunft könnte sie vielleicht das eine oder andere mitbekommen.
„Geschichtsverein?“, fragte Frau Kolb. „Ach ja, jeder nennt unsere Zusammenkünfte anders. Auch Ihnen einen guten Morgen, Frau Bergmann. Natürlich freuen wir uns, wenn Sie dazukommen, vielleicht können Sie unsere Themen ergänzen. Ich habe gehört, dass Sie sich für romanische Kirchen interessieren.“ Gute Kommunikation unter den Dreien.
„Ja, tatsächlich, ich habe mich mal im Norden von Düsseldorf umgesehen. Kaiserswerth, Kalkum, Wittlaer und ein Vorort von Duisburg – Mündelheim. Schöne Kirchen mit reicher Geschichte.“
„Also herzlich willkommen. Wir treffen uns immer montags, in wechselnder Runde. Um zwanzig Uhr heute Abend im Raum Wuppertal, den stellt man kleinen Gruppen wie uns netterweise zur Verfügung.“


Das war geschafft. Ob sie wohl so etwas wie eine inoffizielle Aufnahmeprüfung zu bestehen hatte? Sie hatte tatsächlich vor ein paar Jahren Ausflüge zu diesen Kirchen unternommen. Hatte sich Notizen gemacht. Doch wo waren die? Papier? Nein – Computer. Nichts. Zu lange her. 2006. Da half nur der museumsreife Speicherstick aus ferner Vergangenheit. Tatsächlich. Schnell das Wichtigste auf Word übertragen und ausgedruckt.
Ruth erinnerte sich, dass sich die romanischen Kirchen mit etwas berührten, was sie interessierte: Römer im Rheinland. Natürlich über einige Ecken. Die Kirchen in Mündelheim, Wittlaer und Kalkum waren von drei „Juffern“ gegründet worden. Da gab es einiges nachzulesen. Aber die Verbindung zu den alten Römern war klar: die „drei Matronen“. Kurz rekapituliert – Hauptheiligtum Bonn, viele Weihesteine in der Eifel. Davon hatte Eveline ihr mal Bilder gezeigt. Ruth kannte sie aus der Literatur. Ha! Da konnte sie Wintzig beweisen, dass auch sie selbst Kenntnisse hatte. Wieso eigentlich der Wintzig?
Ruth hielt den Speicherstick in der Hand und musste grinsen: 128 MB Kapazität. Sie erinnerte sich genau an den Tag der ersten Begegnung mit diesen Wunderdingern. Herr Oppermann kam in den Computer-Club und rief triumphierend aus: „So etwas habt ihr noch nicht gesehen!“ Das stimmte. Eine höchst willkommene Ergänzung des mageren Speichers im PC. Und man konnte die Daten transportieren. Das führte Herr Oppermann gleich vor. Der arme Herr Oppermann, auch schon tot.

„Kommen Sie herein, Sie sind uns willkommen“, sagte Gudrun Kolb, als Ruth vorsichtig die Tür zum Raum Wuppertal öffnete. Beinahe wäre sie zurückgeprallt – der Raum war voll. Gudrun Kolb natürlich, präsidial am Kopf des Tisches thronend, nahe der Tür, links neben ihr Friedhelm, rechts neben ihr Wintzig. An Friedhelm schlossen sich an das Ehepaar Overkamp und Frau Heltrup. Neben Wintzig ein Ehepaar, das Ruth zwar vom Sehen kannte, nicht aber ihren Namen. Sie nahm also gegenüber von Frau Heltrup Platz. Sah sehr nett aus, fand Ruth, sehr gepflegt, schicke Frisur – echt blond? Die blauen Augen, die von der modischen Brille fast verdeckt wurden, hätten dazu gepasst. Seltsam, wie wenige Nachbarn eine Brille trugen. Vielleicht das Ergebnis gelungener Staroperationen?
Auf den zusammengerückten Tischen standen Gläser und die obligatorischen Wasserflaschen. Der Platz gegenüber von Gudrun Kolb war leer. Würde er wohl auch bleiben, denn Frau Kolb begrüßte jetzt die Teilnehmer. Es war wohl Glorias Platz gewesen. Gudrun stellte Ruth kurz vor. „Sie kennt sich mit romanischen Kirchen aus.“

Es wurde ein ganz interessanter Abend. Wintzig erzählte von ihrem gestrigen Besuch der romanischen Kirche in Hilden, sprach kurz über die alten Straßen, die sich im Nachbarort kreuzten, und lächelte dabei Friedhelm zu, dem Straßenkenner. Der Gegensatz zwischen Gudrun und Hilde Wintzig hätte größer nicht sein können. Gudruns dunkle, lebendige Augen, ihr volles, dunkles Haar – und Hilde Wintzig blassblond mit blassblauen Augen. Dass Neid im Spiel sein konnte bei der Anschuldigung Hildes, schien Ruth plausibel. Ansonsten hatte sie den Eindruck, dass die Dreiergruppe, die hier zusammensaß, ein Herz und eine Seele war – den Eindruck vermittelten sie, oder versuchten sie es nur?

Ruth wurde aufgefordert, etwas über die Kirchen zu sagen, die sie erwähnt hatte. Es fiel ihr leicht, sie war vorbereitet. Auch sie konnte – mit einem Lächeln zu Friedhelm – von einer alten Straße berichten, von der „hilige straat“, ein Prozessionsweg, der von Essen-Werden über Hösel, Ratingen, Kalkum nach Kaiserswerth zur Suitbertus-Kirche verlief. Natürlich erwähnte sie ihre Quelle: den Düsseldorfer Geschichtsverein. Die drei Juffern streifte sie nur kurz, da war sie nicht sattelfest. Ihre Erwähnung fand aber Beachtung, sie wurde mit einem dreieinigen Lächeln von Gudrun, Wintzig und Friedhelm quittiert. „Drei-Frauen-Legenden“ gehörten wohl zum Wissensfundus des Geschichtsvereins.

Friedhelm ergänzte einiges zu den Straßen und dann begann der legere Teil des Abends. Eine der jungen Frauen, die nur abends in der Cafeteria bedienten, nahm die Bestellungen auf – es durfte auch Alkohol sein. Alle versuchten ein paar Worte mit Ruth zu wechseln. Man freute sich anscheinend über einen zu erwartenden Zuwachs.

Ruth hatte Zeit, sich umzusehen. Der „Raum Wuppertal“ lag nahe beim Großen Salon, er war im Gegensatz zu anderen Räumen im Haus am Kirchberg recht schlicht eingerichtet. Außer dem großen Tisch und den Stühlen gab es nur ein ziemlich altes Sideboard. Ruth wusste von der Literatur- und von der Singgruppe, dass sie diesen Raum auch nutzten.

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